Kulturhaus LŸZ

St.-Johann-Straße 18
57074 Siegen

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Beschreibung:

AUFGEBAUT, UMGEBAUT, ANGEBAUT

Im Gründerzeitbau aus Kaisers Zeiten war nichts beständiger als der Wandel

Eine kleine Historie des Kulturhauses Lÿz

Multifunktionales Forum mit überregionaler Ausstrahlung, Verbesserung weicher Standortfaktoren für Investoren aus der Wirtschaft, Ausbau des Dienstleistungssektors als strukturpolitischer Entwicklungsschwerpunkt: Diese und andere (ge)wichtige Worte waren zu hören, als am 9. November 1996 das mit Fördermitteln des Landes NRW neu gestaltete Kulturhaus Lÿz eröffnet wurde. Ein schmuckes Glasfoyer ziert seitdem die Südseite des Hauses. Mit dem Bistro Lÿz zog eine Gastronomie ein, doch „Star“ der Neuerungen war zweifellos die mit modernster Technik ausgestattete Bühne des Schauplatzes, die mit ihren fast 300 Sitzplätzen und einem großen Regieraum alle Möglichkeiten bot und noch am selben Abend vom Jazzclub Oase mit einer „American Jazz Night“ eröffnet wurde. Inzwischen ist das Lÿz mit ca. 40.000 Besuchern und fast 200 Veranstaltungen pro Spielzeit längst eine der größten Spielstätten Südwestfalens.

Doch die Wurzeln des Bauwerks gehen bis ins Kaiserreich zurück. Bereits 1840 kommt erstmals eine Kommission zur Gründung einer Höheren Mädchenschule in Siegen zusammen. Damals entsandte der preußische Verwaltungsapparat eine zunehmende Zahl von Beamten nach Siegen, die für ihre Töchter eine höhere Bildungsanstalt etabliert sehen wollten. Zwei Jahre später nimmt das „Staatliche Neusprachliche Gymnasium“ in Privaträumen und im Siegener Rathaus den Unterricht auf. 1886 wurde in der St.-Johann-Straße ein Schulgebäude für das Mädchengymnasium gebaut und 1887 zogen 120 Schülerinnen in das neue Haus ein.

Erst zwei Jahre später übernimmt mit Direktor Breuer erstmals ein akademisch ausgebildeter Lehrer die Leitung des Gymnasiums. Unter seiner strengen Ägide erhält die Schule 1894 die Anerkennung als Höhere Mädchenschule, 1910 sogar als Lyzeum, womit die Angleichung an die Höhere Knabenschule verbunden ist. In diesem Jahr wird der Gründerzeitbau wegen der weiter steigenden Zahl an höheren Töchtern erstmalig durch einen Anbau erweitert. 1911 erfolgt die bis heute prägende Namensänderung in Lyzeum auch offiziell. Nach Ende des Ersten Weltkriegs steigt die Zahl der Schülerinnen weiter und erreicht 1928 mit 544 Mädchen ihren vorläufigen Höhepunkt.

Nachdem weitere umfangreiche An- und Umbauten vorgenommen wurden, können zwei Jahre später alle bis dahin noch externen Räumlichkeiten und Einrichtungen in der St.-Johann-Straße untergebracht werden. Bereits in dieser Zeit zeigt das Haus mit ersten Schultheateraufführungen in der Aula seinen kulturellen Charakter.

Bereits 1925 erfolgt die Anerkennung als Oberlyzeum durch das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Die Schülerinnen haben damit nun die Möglichkeit, an dieser Lehranstalt die Allgemeine Hochschulreife zu erlangen. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten drückt den Unterrichtsinhalten seinen ideologischen Stempel auf und vollzieht 1941 mit der Trennung der Allgemeinen Hochschulreife in hauswirtschaftliches und sprachliches Abitur auch eine formale Neustrukturierung der Schule. Das Gebäude wird im Zuge dessen erneut umgebaut und mit Einrichtungen für den Hauswirtschaftsunterricht ausgestattet. Den schweren Luftangriff auf Siegen am 16. Dezember 1944 übersteht das Domizil weitgehend unbeschadet und dient danach kurzzeitig als Notunterkunft.

Doch schon im Februar 1945 wird die Schule bei einem weiteren Bombardement fast völlig zerstört. Aula und Turnhalle werden stark beschädigt, Musiksaal und Handarbeitszimmer sind vernichtet. Das Dachgeschoss wird von Brandbomben getroffen und brennt völlig aus, die dort untergebrachten Hauswirtschaftseinrichtungen sind zerstört. Bis 1947 wird das Gebäude notdürftig und provisorisch wieder aufgebaut und durch das Jungengymnasium genutzt. Die Mädchen werden in diesen Jahren in der Gilbergschule und in der Marktschule in Eiserfeld unterrichtet, bevor sie 1947 in ihr Stammhaus in der St.-Johann-Straße zurückkehren. In den nächsten Jahren kann parallel zum Wiederaufbau ein normalisierter und geregelter Schulbetrieb etabliert werden.

Bis zur Eröffnung der Siegener Stadtbühne 1955 erlebt das Lyzeum eine erste kulturelle Blütezeit. Unter anderem gastieren mit dem „Düsseldorfer Kommödchen“ und „Die Zeitberichter“ namhafte Theaterproduktionen in der Aula. Im Jahr 1969 erreicht die studentische 68er-Bewegung die Schule. Die Mädchen fordern ein demokratisches Schulsystem und mehr pädagogische Leistungen. Der Streik greift auf das nahe gelegene Jungengymnasium über und gipfelt kurz darauf in der Besetzung der Aula der Ingenieurschule für Maschinenwesen und dem Rücktritt der Oberstudiendirektorin Ursula Erfurt.

Mit der Umbenennung in Gymnasium Am Rosterberg 1973 scheinen die Jahre als Lyzeum gezählt und als die Schülerinnen 1975 in den neuen Gebäudekomplex in der Rosterstraße umziehen, geht die Ära der Mädchenschule nach 133 Jahren unspektakulär zu Ende. Der Gründerzeitbau am Fuße des Rosterbergs wird vom Kreis Siegen-Wittgenstein übernommen und es beginnt nach erneuten Umbauten die Zeit der Berufsschule. Von 1977 bis 1984 beherbergt das Gebäude 600 Schülerinnen und Schüler der Gewerblichen Schule und der Kaufmännischen Schule. Neben den über 20 Klassenräumen stehen für die Gewerbliche Schule mehrere Werkstätten sowie dazugehörige Nebenräume zur Verfügung, Physikraum und Sporthalle werden von beiden Schulen genutzt.

1985 verabschiedet sich das Haus endgültig von seiner Funktion als Schulgebäude und wird bis Ende 1990 als Technologiezentrum genutzt. Hier wurde das heute weltweit agierende Software-Unternehmen Buhl Data Service (u. a. Wiso-Software) in einem kleinen Büro gegründet. Auch die international tätige Unternehmensgruppe Guntermann & Drunck startete im Siegener Technologiezentrum in der ehemaligen Mädchenschule.

Als 1989 das Kultur!Büro. einzieht, werden die kulturellen Wurzeln des Gründerzeitbaus neu belebt. Drei Jahre später nutzen die Kabarettisten „Die Widerha(r)ken“ das Lÿz als Probenort und 1993 feiert hier das LÿzMixVarieté Premiere und steht seitdem monatlich und fast immer ausverkauft auf der Bühne des Kleinen Theaters. 1993/94 entsteht erstmals ein Spielplan, ein handlicher Folder, der immerhin fünf Programme mit 40 Spielterminen aufführt und den Beginn der neuen kulturellen Zeitrechnung in der St.-Johann-Str. 18 markiert.

Auch das Medienzentrum des Kreises Siegen-Wittgenstein und die Fortbildungsakademie Medien, ein Gemeinschaftsprojekt des Kreises und der Universität Siegen, finden hier ein Zuhause. Schließlich wird Ende 1996, als eine Landesförderung des Wirtschaftsministeriums dem Gebäude erneut „bauliche Beine“ macht, aus dem „Kleinen Theater im alten Lyzeum“ das „Medien- und Kulturhaus Lÿz“. An seine neuen Grenzen stößt das Haus im Sommer 1999, als fast 40.000 Besucher zu einer Weltpremiere in die St.-Johann-Straße pilgern: In der Ausstellung Paul McCartney Paintings stellt der berühmte Ex-Beatle erstmals sein malerisches Œvre vor.

Ob Dieter Hildebrandt, Dieter Nuhr, Horst Schroth, Michael Mittermaier, Hagen Rether oder Volker Pispers: Seit über 10 Jahren gibt sich im Lÿz die deutsche Kabarettelite die Klinke in die Hand. Daneben sorgen der Jazzclub Oase mit Konzerten, der Filmklub Kurbelkiste mit einem ausgesuchten Programmkino, die Reihe Kultur4You mit Kinder- und Jugendtheater, regionale Theaterproduktionen und Experimental-Theater, die literarische Reihe LÿzLit sowie zahlreiche Tanz-, Gesang- und Jonglageworkshops für kulturelle Vielfalt in der ehemaligen Städtischen Höheren Mädchenschule zu Siegen.

(Patrick Zöller anlässlich des 10jährigen Bestehens des Kulturhauses Lÿz)